Immobilienwert bei Scheidung: So wird der Verkehrswert ermittelt und fair aufgeteilt

Immobilienwert bei Scheidung: So wird der Verkehrswert ermittelt und fair aufgeteilt
Lennart Schreiber 18 Nov 2025 0 Kommentare Recht und Gesetz

Bei einer Scheidung ist die Immobilie oft der größte und komplexeste Vermögensgegenstand. Wer bekommt das Haus? Wer zahlt wem was? Und vor allem: Wie viel ist die Immobilie eigentlich wert? Viele Paare denken, dass eine Online-Schätzung aus dem Internet reicht. Das ist ein großer Fehler. Nur ein Verkehrswertgutachten ist rechtssicher und kann später vor Gericht bestehen. Der Wert, der hier zählt, ist nicht der, den der Verkäufer wünscht - sondern der, den ein neutraler Sachverständiger nach gesetzlichen Regeln ermittelt.

Warum der Verkehrswert entscheidend ist - und nicht der Sachwert

Viele Ehepartner verwechseln den Sachwert mit dem Verkehrswert. Der Sachwert ist eine rechnerische Annäherung: Baukosten abzüglich Abschreibung. Er sagt nichts über den tatsächlichen Marktpreis aus. Der Verkehrswert hingegen ist der Preis, den die Immobilie am Tag der Trennung oder beim Einreichen des Scheidungsantrags auf dem freien Markt erzielen würde. Das ist der Wert, der für den Zugewinnausgleich maßgeblich ist - und zwar nach § 1373 BGB.

Stell dir vor: Du hast das Haus vor 15 Jahren für 200.000 Euro gekauft. Heute ist es 450.000 Euro wert. Der Unterschied von 250.000 Euro ist der Zugewinn. Dein Partner hat vielleicht nie auf den Grundriss geschaut, aber er hat trotzdem Anspruch auf die Hälfte davon - also 125.000 Euro. Das gilt, selbst wenn das Haus nur auf deinem Namen steht. Die Gesetze in Deutschland sehen die Ehe als wirtschaftliche Gemeinschaft an. Was während der Ehe an Wert gewachsen ist, gehört beiden.

Zwei Arten von Gutachten - und wann welches nötig ist

Es gibt zwei Haupttypen von Immobiliengutachten bei Scheidungen: das Kurzgutachten und das vollständige Verkehrswertgutachten nach § 194 BauGB.

  • Kurzgutachten: Kompakt, schnell, günstig. Es liefert eine fundierte Schätzung des Marktwerts, basierend auf vergleichbaren Objekten in der Region, Lage, Größe und Zustand. Ideal, wenn beide Parteien einverstanden sind und außergerichtlich eine Lösung finden wollen. Kosten: meist zwischen 300 und 800 Euro.
  • Verkehrswertgutachten nach § 194 BauGB: Vollständig, detailliert, gerichtstauglich. Enthält eine vollständige Objektbeschreibung, detaillierte Marktanalysen, Berechnungswege (Ertragswert, Vergleichswert, Sachwert), Fotos, Grundrisse und rechtliche Begründungen. Wird von Gerichten, Anwälten und Banken als verbindlich anerkannt. Kosten: 0,5 % bis 3,5 % des Immobilienwerts - also bei einem 400.000-Euro-Haus zwischen 2.000 und 14.000 Euro.

Wenn du dir unsicher bist, ob dein Partner mit dem Wert einverstanden ist - oder wenn du schon weißt, dass er es nicht sein wird - dann gehe gleich zum vollständigen Gutachten. Ein Kurzgutachten, das später angezweifelt wird, bringt nur Zeit und Geld weg. Es ist wie ein Rezept, das der Arzt nicht unterschrieben hat: Niemand akzeptiert es.

Wann ist der Wertstichtag? Der entscheidende Tag

Der Wert der Immobilie wird nicht zum Tag der Scheidung, sondern zum sogenannten Wertstichtag ermittelt. Das ist entweder:

  • der Tag der Trennung, wenn beide Parteien sich darauf einigen, oder
  • der Tag, an dem der Scheidungsantrag beim Gericht eingegangen ist - und damit der andere Ehegatte offiziell davon erfährt.

Warum ist das wichtig? Weil Immobilienpreise schwanken. Wenn du im Januar 2025 getrennt bist und der Markt im März noch steigt, dann darf dein Partner nicht vom höheren Wert profitieren. Umgekehrt: Wenn der Markt fällt, nachdem du dich getrennt hast, darfst du nicht vom niedrigeren Wert belastet werden. Der Wertstichtag schützt beide Seiten vor unfairen Entwicklungen.

Ein rechtsgültiges Verkehrswertgutachten mit Belegen und Grundriss auf einem Schreibtisch.

Wer bezahlt das Gutachten? Und wer wählt den Gutachter?

Jeder Ehegatte hat das Recht, einen eigenen Sachverständigen zu beauftragen. Das ist sinnvoll, wenn du misstrauisch bist oder denkst, dass dein Partner einen Gutachter wählt, der zu günstig schätzt. Aber: Wer zahlt?

Meistens teilen sich die Parteien die Kosten - 50:50. Das ist die gängigste Lösung. Aber es kann auch anders geregelt werden: Wenn einer die Immobilie behält, kann er den anderen anteilig entschädigen und gleichzeitig die Kosten des Gutachtens übernehmen. Oder: Wenn einer den Antrag stellt, übernimmt er die Kosten. Das wird im Rahmen der Verhandlungen geklärt. Wichtig: Schreibe alles schriftlich auf. Mündliche Absprachen sind bei Immobilienwerten nichts wert.

Der Gutachter muss unabhängig sein. Kein Makler, der gerade das Haus verkaufen will. Kein Freund des Partners. Ein zertifizierter Immobiliensachverständiger mit Sitz in der Region - zum Beispiel in München, wenn du dort wohnst. Die Deutsche Gesellschaft für Gutachterwesen führt eine Liste an anerkannten Experten. Die Sparkasse oder deine Bank können dir auch Empfehlungen geben.

Was passiert, wenn die Immobilie im Alleineigentum steht?

Viele denken: „Ich hab das Haus allein gekauft - also ist es mein Eigentum.“ Falsch. In der Zugewinngemeinschaft - das ist der gesetzliche Güterstand bei den meisten Ehen - zählt nicht, wer den Kaufvertrag unterschrieben hat. Es zählt, was während der Ehe an Wert zugekommen ist.

Beispiel: Du hast das Haus vor der Ehe für 180.000 Euro gekauft. Während der Ehe hast du 50.000 Euro in Sanierung investiert. Heute ist es 500.000 Euro wert. Der Zugewinn ist: 500.000 - 180.000 = 320.000 Euro. Davon ziehst du die 50.000 Euro Eigenleistung ab - das ist deine persönliche Einlage. Der verbleibende Zugewinn von 270.000 Euro wird gleichmäßig aufgeteilt. Dein Partner bekommt 135.000 Euro - entweder durch Abfindung oder durch Abtretung eines anderen Vermögens.

Wenn du die Renovierungen selbst gemacht hast - zum Beispiel die Küche neu gebaut, die Heizung erneuert - dann kannst du das als Geldwert anrechnen. Aber nur, wenn du nachweisen kannst, was du investiert hast: Rechnungen, Belege, Fotos. Ohne Belege zählt es nicht. Das ist ein häufiger Streitpunkt. Dokumentiere alles von Anfang an.

Warum Online-Schätzungen nichts taugen - und was du stattdessen tun solltest

Du findest im Internet Hunderte von Angeboten: „Berechne deinen Immobilienwert in 60 Sekunden!“ Diese Tools nutzen durchschnittliche Preise aus großen Städten oder Regionen. Sie wissen nicht, ob dein Balkon nach Süden zeigt, ob die Heizung aus dem Jahr 1998 stammt oder ob die Nachbarschaft in den letzten zwei Jahren schlechter geworden ist.

Ein Online-Schätzwert ist wie eine Wetter-App, die dir sagt: „Es ist 20 Grad.“ Aber du stehst unter einem Baum, und es regnet. Die App hat recht - aber sie sagt dir nichts über deine Situation.

Was du tun solltest:

  1. Prüfe, ob du und dein Partner sich auf einen Wert einigen können - dann reicht ein Kurzgutachten.
  2. Wenn du unsicher bist: Beauftrage einen unabhängigen Sachverständigen mit einem vollständigen Verkehrswertgutachten.
  3. Halte alle Kauf- und Renovierungsbelege bereit - auch alte Rechnungen.
  4. Frage deinen Anwalt, welchen Wertstichtag das Gericht voraussichtlich ansetzen wird.
  5. Vermeide emotionale Entscheidungen. Ein Haus ist kein Spielzeug - es ist ein Vermögenswert, der rechtlich geregelt werden muss.
Eine Waage mit Haus und Geld, symbolisiert die faire Aufteilung beim Zugewinnausgleich.

Die Zahlen, die du kennen musst

Die Immobilienpreise in Deutschland sind in den letzten Jahren stark gestiegen - und jetzt wieder leicht zurückgegangen. Zwischen 2015 und 2022 stiegen die Preise durchschnittlich um 85 %. Seit 2023 ist ein Rückgang von 12,7 % zu verzeichnen. Das bedeutet: Wer seine Immobilie 2021 gekauft hat, hat jetzt einen höheren Wert als vor einem Jahr. Wer sie 2024 gekauft hat, könnte jetzt unter Wert stehen.

40 % aller Scheidungsverfahren in Deutschland betreffen Immobilien. In 65 % dieser Fälle entsteht Streit über den Wert. Die Deutsche Anwaltsakademie empfiehlt daher: Bevor du heiratest - oder wenn du eine Immobilie kaufst - lasse sie bewerten. Dann weißt du, was du in die Ehe mitbringst. Das verhindert später massive Streitigkeiten.

Im Jahr 2023 stieg die Zahl der Streitfälle um 18 % im Vergleich zu 2022 - direkt aufgrund der Preisschwankungen. Wer heute seine Immobilie bewerten lässt, muss wissen: Der Wert ist nicht statisch. Er hängt vom Markt, der Lage, der Nachfrage und sogar von der Energieeffizienzklasse ab.

Was kommt als Nächstes? Der Zugewinnausgleich

Nachdem der Wert feststeht, geht es um die Ausgleichszahlung. Drei Wege sind möglich:

  • Abfindung: Der Partner, der das Haus behält, zahlt dem anderen die Hälfte des Zugewinns als Geldbetrag.
  • Immobilientausch: Du behältst das Haus, dein Partner behält das Auto oder eine andere Immobilie - so dass die Werte ausgeglichen sind.
  • Verkauf: Ihr verkauft das Haus, teilt den Erlös - und zieht jeweils ab, was ihr vor der Ehe hineingesteckt habt.

Der Verkauf ist oft die sauberste Lösung - besonders wenn keiner von beiden das Haus behalten will. Aber er ist auch die teuerste: Notar, Makler, Steuern, Renovierungskosten. Und es dauert Monate. Die Abfindung ist schneller, aber sie erfordert Liquidität. Viele haben das Geld nicht. Dann bleibt nur die Einigung auf einen anderen Vermögensgegenstand.

Was du jetzt tun solltest

Wenn du gerade in einer Scheidung bist - oder sie vor dir siehst - dann handle jetzt. Nicht morgen. Nicht nächste Woche. Heute.

  1. Sammle alle Unterlagen: Kaufvertrag, Renovierungsrechnungen, Energieausweis, Grundbuchauszug.
  2. Frage deinen Anwalt: Welcher Wertstichtag ist wahrscheinlich? Welches Gutachten brauchen wir?
  3. Beauftrage einen zertifizierten Sachverständigen - nicht den Makler, der dir das Haus verkaufen will.
  4. Vermeide emotionale Entscheidungen. Das Haus ist kein Erbstück, kein Traum, kein Sieg - es ist ein Vermögenswert. Und er wird gerecht aufgeteilt.

Die meisten Streitigkeiten entstehen nicht wegen des Wertes - sondern wegen der Unklarheit. Wer weiß, was er bekommt, kann ruhiger verhandeln. Wer sich auf einen fairen Prozess einlässt, spart Zeit, Geld und Nerven.