Ein Haus bauen, wo das Wasser früher mal hochkam - das klingt verlockend, besonders wenn Grundstücke knapp und teuer sind. Aber in Deutschland ist das Bauvorhaben im Überschwemmungsgebiet grundsätzlich verboten. Das steht klar im Wasserhaushaltsgesetz (WHG), § 78 Abs. 1. Seit 2010 gilt: Wer in einem gesicherten Überschwemmungsgebiet bauen will, braucht eine Ausnahme. Und die ist nicht einfach zu bekommen.
Warum ist Bauen in Überschwemmungsgebieten so streng reguliert?
Es geht nicht nur um ein paar Meter Wasser im Keller. Überschwemmungsgebiete sind natürliche Pufferzonen. Sie speichern Hochwasser, bremsen die Strömung und schützen Siedlungen dahinter. Wenn du dort baust, verlierst du diesen Puffer. Ein Haus, eine Straße, ein Parkplatz - das alles blockiert den Wasserfluss. Und wenn das Wasser nicht mehr fließen kann, steigt es schneller, höher und schneller an - genau dort, wo Menschen wohnen.
Die EU-Richtlinie 2007/60/EG hat das deutsche Recht geprägt. Deutschland hat das mit dem WHG 2009 umgesetzt. Seitdem ist der Schutz vor Hochwasser oberste Priorität - vor jeder Bauabsicht. Die Erfahrung aus den Katastrophen der letzten Jahre, besonders dem Ahrtal-Hochwasser 2021, hat das noch verschärft. Die Behörden sind heute viel restriktiver als noch vor zehn Jahren.
Was braucht man, um eine Genehmigung zu bekommen?
Es gibt keine Standardformel. Aber es gibt klare, kumulative Voraussetzungen. Alle müssen erfüllt sein - sonst wird abgelehnt. Die wichtigsten sind:
- Keine oder nur unwesentliche Beeinträchtigung der Rückhaltung: Der Raum, den dein Bauvorhaben einnimmt, muss komplett ausgeglichen werden. Das heißt: Du musst woanders ein Stück Land frei halten oder zurückbauen, das genauso viel Wasser speichern kann. Und zwar nicht nur in der Menge, sondern auch in der Funktion. Ein kleiner Teich reicht nicht, wenn das ursprüngliche Gebiet ein großflächiger Auenbereich war.
- Maximal 1 cm Wasserstandserhöhung: Bei einem Bemessungshochwasser darf dein Bauvorhaben den Wasserstand nicht um mehr als ein Zentimeter anheben. Das ist extrem streng. Berechnungen dazu müssen nach dem DWA-M 111 (2019) erfolgen - ein Fachstandard, den nur spezialisierte Ingenieure beherrschen.
- Keine Veränderung des Abflussverhaltens: Das Wasser muss weiterhin wie vorher fließen. Keine Stauung, keine Beschleunigung, keine Umleitung, die Nachbargrundstücke gefährdet. Auch das muss hydrologisch nachgewiesen werden.
- Hochwasserangepasste Bauweise: Dein Haus muss so gebaut sein, dass es bei Hochwasser nicht beschädigt wird. Das bedeutet: Fundamente oberhalb des höchsten erwarteten Wasserstandes, wasserdichte Kellerwände, Materialien, die nicht durch Nässe zerstört werden. Und: Keine Gefahr für Leben und Gesundheit der Bewohner.
- Keine unzumutbare Beeinflussung von Nachbarn: Wenn dein Bau das Wasser zu einem Nachbargrundstück umleitet, das vorher trocken blieb, ist das ein Ablehnungsgrund.
Ein Beispiel: Ein Bauherr will in einem Überschwemmungsgebiet in Baden-Württemberg ein Einfamilienhaus bauen. Er bietet an, ein 500 m² großes Grundstück in der Nähe zu kaufen und als Auenfläche zu belassen. Das klingt gut. Aber: Das neue Grundstück liegt 200 Meter entfernt, hat eine andere Bodenbeschaffenheit und kein natürlicher Wasserfluss. Die Behörde lehnt ab - keine funktionale Äquivalenz. Das Bundesverwaltungsgericht hat 2020 klargestellt: Quantität allein reicht nicht. Es muss auch die Funktion stimmen.
Wer ist zuständig? Die Behörden-Labyrinth
Es gibt keine einheitliche Regelung in Deutschland. Jedes Bundesland macht es etwas anders. In Nordrhein-Westfalen, besonders im Rhein- und Sieggebiet, ist die Bezirksregierung Köln zuständig - und zwar direkt, wenn es sich um baugenehmigungsfreie Vorhaben handelt. In anderen Regionen ist die Untere Wasserbehörde am Landkreis zuständig. In Niedersachsen, zum Beispiel in Celle, ist das die Kreisverwaltung. Du musst also zuerst prüfen: Wo liegt mein Grundstück? Welches Gewässer ist betroffen?
Für Bauvorhaben, die eine Baugenehmigung brauchen, ist die Bauaufsichtsbehörde erstmal Ansprechpartner. Aber sie holt das Einvernehmen der Wasserbehörde ein. Du musst also zwei Behörden überzeugen. Und das dauert. In der Regel 12 bis 18 Monate. Komplexe Fälle, mit komplizierten Ausgleichsmaßnahmen, können bis zu zwei Jahre dauern.
Was kostet es - und wie viel Erfolg hast du?
Die Kosten sind kein kleiner Faktor. Du brauchst mindestens drei Gutachten:
- Ein hydrologisches Gutachten nach DWA-M 111: 8.000 bis 15.000 €
- Eine Hochwasserrisikoanalyse: 5.000 bis 10.000 €
- Ein Ausgleichskonzept: 3.000 bis 8.000 €
Dazu kommen Kosten für Planer, Anwälte, Behördengebühren. Insgesamt liegen die Ausgaben oft zwischen 15.000 und 25.000 €. Und das, bevor du einen Spitzhackenschlag getan hast.
Die Erfolgsquote? Niedrig. Ein Planungsbüro aus Nordrhein-Westfalen hat 2022 von 100 Anträgen nur 23 genehmigt - das sind 23 %. Die häufigsten Ablehnungsgründe: Nicht ausreichender Ausgleich des Rückhalteraums (58 %) und zu starke Beeinflussung des Abflussverhaltens (32 %). Nur 10 % der Ablehnungen haben andere Gründe.
Und: Es gibt keinen Rechtsanspruch auf Genehmigung. Die Behörde hat ein Versagungsermessen. Selbst wenn du alle technischen Voraussetzungen erfüllst - sie kann trotzdem ablehnen. Das ist ein wichtiger Punkt, den viele Bauherren unterschätzen.
Aktuelle Trends: Klimawandel macht alles noch schwieriger
Seit 2023 müssen in Nordrhein-Westfalen die Bemessungshochwasser um 10 % höher angesetzt werden. Das bedeutet: Dein Haus muss höher stehen, dein Ausgleichsgebiet muss mehr Wasser fassen. Die Bezirksregierung Köln hat ihre Leitfäden im August 2023 angepasst. Und die DWA arbeitet an einem neuen Merkblatt, das Klimawandelszenarien standardisiert - voraussichtlich ab 2025.
Die Bundesregierung plant mit der WHG-Novelle 2024, die Anforderungen noch weiter zu verschärfen. Besonders bei Szenarien mit extremeren Regenfällen, wie sie durch den Klimawandel immer wahrscheinlicher werden. Die Versicherungswirtschaft reagiert schon jetzt: Immobilien in Überschwemmungsgebieten haben durchschnittlich 220 % höhere Prämien als andere. Das macht den Kauf und die Finanzierung extrem schwer.
Die Statistik des Umweltbundesamts zeigt: Die Ablehnungsquote stieg von 62 % im Jahr 2015 auf 77 % im Jahr 2022. Es wird immer schwerer, eine Ausnahme zu bekommen.
Was tun, wenn du ein Grundstück in einem Überschwemmungsgebiet hast?
Wenn du bereits ein Grundstück in einem Überschwemmungsgebiet besitzt, darfst du es nicht einfach abreißen und neu bauen. Aber du kannst es sanieren - vorausgesetzt, du hältst die Hochwasserschutzregeln ein. Ein Keller kann zum Trockenraum umgebaut werden, die Eingangstreppe nach oben verlegt, die Heizung in den ersten Stock gezogen. Das ist oft günstiger als ein Neubau - und hat eine höhere Genehmigungschance.
Wichtig: Informiere dich früh. Hole dir den aktuellen Bebauungsplan und den Hochwassergefahrenkataster deiner Gemeinde. Frag bei der Unteren Wasserbehörde nach, ob dein Grundstück in einem gesicherten oder vorläufig gesicherten Gebiet liegt. Und: Lass dich von einem Fachplaner beraten - nicht von einem Baufachhändler, der nur bauen will. Die richtigen Gutachter kennen die DWA-M 111, die Landesleitfäden und die Praxis der Behörden.
Ein Bauvorhaben im Überschwemmungsgebiet ist kein Projekt für Amateure. Es ist ein juristischer und technischer Marathon. Wer es trotzdem wagt, braucht Geduld, Geld und einen klaren Kopf. Und vor allem: Respekt vor dem Wasser.
Kann ich ein Haus in einem Überschwemmungsgebiet bauen, wenn ich es auf Stelzen baue?
Nein, das reicht nicht. Auch auf Stelzen bauen verändert die Fließbedingungen und nimmt Rückhalteraum weg. Die Behörden prüfen nicht nur die Bauweise, sondern den gesamten Wasserhaushalt. Ein Gebäude auf Stelzen kann trotzdem den Wasserstand um mehr als 1 cm anheben oder den Abfluss behindern. Nur wenn alle technischen Voraussetzungen erfüllt sind - inklusive vollständigem, funktionalem Ausgleich - ist eine Genehmigung denkbar.
Was passiert, wenn ich ohne Genehmigung baue?
Du riskierst einen hohen Bußgeldbescheid, die Zwangsräumung des Gebäudes und die Rückbaupflicht auf eigene Kosten. Die Behörden prüfen auch nach Jahren noch, ob Bauvorhaben genehmigt waren. Wenn du ein Haus ohne Genehmigung gebaut hast, kannst du es nicht verkaufen - kein Notar macht eine Beurkundung, keine Bank gewährt einen Kredit. Der Schaden ist oft höher als der Nutzen.
Gibt es Ausnahmen für bestehende Gebäude?
Ja, aber nur für Instandsetzungen, Modernisierungen oder Erweiterungen, die nicht die Hochwasserschutzfunktion beeinträchtigen. Ein Dachausbau ist oft möglich, ein Kelleranbau meist nicht. Die WHG-Novelle 2024 verlängert die Frist zur Nachrüstung bestehender Gebäude von 2023 auf 2030 - das gibt Eigentümern mehr Zeit, ihre Immobilien sicherer zu machen.
Warum sind die Genehmigungsstandards in den Bundesländern so unterschiedlich?
Weil Wasserrecht in Deutschland Ländersache ist. Jedes Land hat eigene Verwaltungsstrukturen und eigene Leitfäden. Baden-Württemberg hat einen sehr detaillierten Leitfaden, Bayern einen anderen. Das führt zu ungleichen Chancen. Ein Projekt, das in NRW abgelehnt wird, könnte in Sachsen genehmigt werden - obwohl die Gefahrenlage ähnlich ist. Die DWA arbeitet an bundesweit einheitlichen Methoden, aber bislang gibt es keine einheitliche Prüfmethodik.
Kann ich ein Überschwemmungsgebiet von der Liste streichen lassen?
Nein. Die Festlegung erfolgt durch die zuständigen Wasserbehörden auf Basis hydrologischer Daten und Hochwasserereignisse der letzten 100 Jahre. Ein privater Grundstückseigentümer kann das nicht beeinflussen. Selbst wenn das Gebiet lange trocken war - wenn es historisch überschwemmt wurde, bleibt es als Überschwemmungsgebiet gesichert. Die Klimaänderung macht das sogar noch wahrscheinlicher.